Frau Dr. Jörger-Tuti, welchen Risiken setzen sich Menschen mit COPD aus, wenn sie gegen bestimmte Krankheiten oder Infektionen nicht geschützt sind?
Dazu muss man wissen, dass es bei einer COPD zu deformierenden Veränderungen der Bronchien und der sonstigen Lungenstruktur und letztlich zu einer Störung der Schleimhautbarriere in den Bronchien kommt. Dadurch sind die Schutzfunktion der Lungenschleimhäute sowie der reguläre Transport von Lungensekret nicht mehr adäquat gewährleistet. Die Folge: eine erhöhte Infektanfälligkeit gegenüber Viren und Bakterien mit tendenziell schwereren Verläufen sowie Gefahr von schweren Exazerbationen.
Zu welchen Impfungen raten Sie Erkrankten?
Patientinnen und Patienten mit COPD, aber auch mit anderen chronischen Atemwegs- und Lungenerkrankungen, sollten unbedingt alle Möglichkeiten der Prävention ausschöpfen. Zugelassene und sinnvolle Impfungen sind jene gegen Influenza-Erreger und SARS-CoV2 – jährlich neu im Herbst – sowie gegen Pneumokokken, um das Risiko für eine Lungenentzündung zu reduzieren. Aber auch eine Schutzimpfung gegen das RS-Virus, die seit Kurzem verfügbar ist, sollte bei COPD-Patienten ab einem Alter von 60 Jahren in Betracht gezogen werden. Das RSV gilt als Verursacher von schweren Atemwegs- und Lungeninfektionen.
Eine weitere Erkrankung, vor der man sich mittels Impfung schützen kann, ist die Gürtelrose. Was gilt es bei COPD zu beachten?
Vulnerable Menschen mit einer geschwächten Immunabwehr haben ein erhöhtes Risiko, an einer schmerzhaften Gürtelrose, einer Folgeerkrankung der Windpocken, ausgelöst durch das Varizella-Zoster-Virus, zu erkranken. Auch wenn die Lunge selbst nur in den seltensten Fällen betroffen ist, ist bei COPD-Patienten mit Gürtelrose eine erhöhte Gefahr für Komplikationen wie einem schweren Verlauf, Schlaganfall oder Herzinfarkt assoziiert. Daher rät die Ständige Impfkommission STIKO zu einer Gürtelrose-Impfung ab 50 Jahren für Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie COPD.
Gibt es weitere Vakzine, die im Impfpass darüber hinaus nicht fehlen sollten?
Ja, auf jeden Fall. Dazu gehören klassische Kinder- und Jugendimpfungen und bei Bedarf die endemischen Reiseimpfungen. Ebenso geachtet werden muss auf Aktualisierungen der Impfungen gegen Tetanus, Hepatitis B und Polio sowie Röteln bei Schwangeren.
Unabhängig von der Impfung – wann ist bei Bekanntwerden von COPD der richtige Impfzeitpunkt?
Sobald eine chronische Lungenerkrankung diagnostiziert ist und die betroffene Person die vorgesehenen Indikationen der STIKO erfüllt, ist eine Impfung zu empfehlen und sollte nicht verzögert werden – es sei denn natürlich, es bestehen Allergien gegen die Trägerstoffe. Zudem sollte im weiteren Verlauf der Impfstatus regelmäßig evaluiert werden.
Braucht es mehr Bewusstsein für das Thema Impfen?
In der Tat. Die Entdeckung der Immunisierung durch Impfungen hat die Medizin und das Überleben der Patienten revolutioniert. Wir sollten alles tun, um Menschen vor vermeidbaren Infektionen zu schützen sowie schwere Krankheitsverläufe und damit verbundene stationäre Krankenhausaufenthalte zu verhindern. Die Awareness für das Thema Impfschutz sollte jeder, auch gesunde Menschen, haben, insbesondere aber Patienten mit chronischen Erkrankungen wie der COPD.